Geschichten: Wie zwei einen SIL-berpfeil bauten.
„Komm Andreas, wir bauen einen alten Rennwagen."
Zwei Halberstädter Edelschrauber haben einen V8-Rennwagen nach historischem Vorbild gebaut. Nur mal so, weil es geht und sie es können. In der Halle steht ein 'Autosaurier' und daneben seine beiden nicht weniger eindrucksvollen Schöpfer. Der Sound, der nach kurzem Anlassergeräusch geradewegs aus der dunklen Halle dröhnt, ist gewaltig, etwas bedrohlich und das unerbittliche Ende der friedlichen Hinterhofstille.
Die offenen Auspuffrohre blubbern satt im Leerlauf und röhren beim Gasgeben. Kurze Flammen schießen bei den ersten Gasstößen aus ihren schwarzen Öffnungen. Dieses unverwechselbare, tiefe Blubbern, verrät den großvolumigen Achtzylinder. Auf hohen, altertümlichen Rädern rollt ein silbernes Auto auf den Platz vor dem Tor. Die Sonne steht fast vertikal über dem Platz, scheint kräftig und läßt die Aluminium-Karosserie derart gleißen, das man unwillkürlich die Augen schließen muß, um gleich darauf doch wieder hinzusehen. Man kann den Blick einfach nicht abwenden. Die Karosserie, die sich gemächlich auf den Platz schiebt, beginnt mit einem Spitzkühler vor einer schier endlosen Motorhaube. Die Seiten darunter sind offen und geben den Blick auf zwei mächtige Zylinderreihen frei, jeweils 4 auf jeder Seite. Sie sind V-förmig angeordnet und in Reihe. Das folgende Cockpit ist von einer Lederwulst eingefaßt und der gesamte Aufbau endet in einem Heck mit Bootsform, spitz zulaufend. Daraus ragt oben ein mächtiger Tankverschluß. Zwei offene Auspuffrohre schmiegen sich nach hinten an die maßgeschneiderte Aluhaut. Den Abmessungen nach sehen sie aus wie alte Zaunpfähle. Später wird klar, das sie genau das in ihrem ersten Dasein auch wirklich waren. Das Ganze steht auf riesigen Rädern, die der aufmerksame Betrachter aus der ROBUR-LKW-Konstruktion kennt.
Das martialische Ungetüm erinnert an die Rennwagen der 20er Jahre und die legendären Silberpfeile auf der Avus in Berlin, so ab 1932. Der erste silberne war damals ein Mercedes SSKL, gesteuert von Manfred von Brauchitsch. Der Halberstädter Bolide wirkt sogar noch etwas wuchtiger, dabei ist er Baujahr 2015. Aus dem Cockpit ragen jetzt zwei antike Lederhauben, unter denen zwei verschmitzt blickende Typen stecken. Es sind die Erbauer höchst persönlich. „Wie um alles in der Welt kommt man darauf, solch ein automobiles Fossil zu bauen?", fragt sich jeder, der dem Eigenbau gegenüber steht. Nach einem abwägenden Blickwechsel mit Roland fängt Andreas an zu erzählen.
„Also, angefangen hat alles bei einem unserer vielen Benzingesprächen unter Oldtimer-Freunden: 'So einen V8-Motor müsste man haben. Der klingt so schön.', hat Roland mal gesagt." Nach einer Pause fügt er hinzu: „Wenig später hatte Roland Geburtstag und seine Oldtimer-Freunde haben ihm einfach mal einen original V8-Benzinmotor aus einem alten, russischen SIL-131-Lkw geschenkt." Das war dann ein eher ungewöhnliches Geschenk. So ein Ding hat 6 Liter Hubraum und 150 PS. Über den Verbrauch von ca. 40l auf 100 km mußten die Oldtimer-Freunde glücklicherweise nicht nachdenken. Der SIL-Motor war also das erste Teil vom späteren SIL-berpfeil. Aber das wußten die Freunde damals noch nicht. “Die Jungs haben mir den Motor auf ein stählernes Rollgestell gebaut, mit Anlasserpult und Batteriehalterung. Als Auspuff dienten Rohrstücke, offen.“, schmunzelt Roland. „Zum Geburtstag, im Februar, haben sie das Monstrum in unserer Wohnsiedlung abgeladen und mir damit ein Ständchen gespielt.", lacht er. „MeineNachbarn werden sich sicher noch erinnern, als wäre es gestern gewesen."
Während die beiden berichten, zerren Sie die Lederhauben vom Kopf und legen sie dekorativ auf die Alukarosse. Es ist einfach zu warm. Trotzdem ist ein prüfender Blick unter die aufgeklappte Motorhaube fällig, ob alles dicht ist. Wenn man sie jetzt ließe, würden sie die Welt um sich herum und besonders den neugierigen Fragesteller nicht mehr weiter beachten. 'Wieso ölt denn der Filter schon wieder?', ist eine viel wichtigere Herausforderung.
Jetzt bloß nicht locker lassen: „Und wie kam es nun zum Bau des Autos?" Roland blickt irritiert auf. „Das war am Valentinstag, bald nach meinem Geburtstag." Fragezeichen schweben in der Luft, bis Andreas weiter erzählt: „Genau, das war am Tag der Liebe - der Liebe zum V8-Motor." Beide finden das ausgesprochen lustig. „Den Motor gab es damals schon und wir waren im 'Zippel', hier in Halberstadt. Nach dem 3.-4. Bier war die Idee plötzlich da und wir sind in der Folge dran geblieben." Aus Zeitz wurde ein ROBUR-LKW geholt, vom Schrott. Über 20 Jahre hatte der draußen gestanden und vom 'Häuschen' fehlten unten und umlaufend entscheidende Zentimeter. „Das hat die Demontage erheblich erleichtert.", erinnern sich die beiden Schrauber. Der stabile Leiterrahmen und die Achsen waren jedoch gut und bildeten die Basis für das Projekt. Nachdem alles gründlich gereinigt und lackiert worden war, wurden die Federn des ROBUR umgedreht und neu angebaut, damit der ganze Aufbau tiefer kam. Das Gewicht würde sie schließlich nicht mehr so hoch belasten, wie vorher, zu Transporterzeiten. Ein Original-Getriebe vom SIL wurde beschafft und die Kardanwelle angepasst. Es gab aber auch Rückschläge. „Wir haben an einem Samstag die Lenkung angebaut." lächelt Roland, kaum sichtbar unter seinem Kaiserbart. „Viel Überlegung war nötig und einige Halterungsvarianten mußten geschweißt und wieder verworfen werden." Andreas wendet sich ab. „Nun erzähl das doch nicht so rum. Was sollen die Leute denken?", sagt er leise. Roland aber kann nicht anders: „Als wir alles dran hatten und mal probehalber nach links am Lenkrad gedreht haben, bewegten sich die Vorderräder nach rechts." Beide prusten los. Problem erkannt, Problem gebannt. Heute dreht sich alles richtig herum.
Die Geschichte vom SIL-berpfeil ist nun rasch zu Ende erzählt. Viele Stunden sind noch erforderlich geworden. Ein Boden aus Holz wurde getischlert. Das Rohmaterial für die einzelnen Holzrahmen fand sich im Brennholz-Vorrat und als alter Kleiderschrank. Die handwerklich anspruchsvolle Beplankung mit Alu-Blechen wurde mit 1402 Schrauben befestigt. Ein Silberschmied geht eben sehr kontrolliert mit Rohstoffen um. Das edle Armaturenbrett besteht aus einer alten Eichenplanke, mit wunderschöner Maserung. Das Holzlenkrad stammt vom Teilemarkt und ist durchaus authentisch. Überhaupt lassen sich viele technisch und handwerklich bemerkenswerte Details bewundern, die bereits auf einer Ausstellung die Besucher in ihren Bann gezogen haben. Die erfolgreiche Probefahrt fand ein paar Wochen vor der offiziellen Vorstellung an geheimem Ort statt, bei 3° Celsius und ohne unbeliebte Zeugen. "Es hätte schließlich auch was schief gehen können. Dafür brauchten wir keine Zeugen.", stellt Andreas klar. „Die Augen haben uns dabei wie verrückt getränt und wir wissen bis heute nicht, ob vor Kälte oder vor Freude.", sagt Roland. Sein Lächeln verrät, dass er den wahren Grund sehr wohl kennt. Wer dem Fahrzeug begegnet, wird es verstehen. Überhören kann man den 'Zaunpfahl-Sound' ganz sicher nicht, genau wie damals Rolands Nachbarn.